Golden City aktuell
 
08.11.2024, um 18:00
Tante Martin / Sportklause


 
Lesung mit Musik: „Die Taschen waren voller Geld“
über die Feierlaune in den Hafenbars der 50er und 60er Jahre in Walle


Ich lese mal wieder aus meinem Buch "Die Taschen waren voller Geld" und erzähle und singe von einer Zeit, in der Bremen als florierender Hafenplatz in der ganzen Welt bekannt war. Als an der "Küste" oder auch dem „Klein-St.- Pauli“ rund um die Uhr gesoffen, gefeiert und gehurt wurde und die Musikbox niemals stillstand.

Wer mich als singende Wirtin aus der Hafenbar Golden City kennt, weiß, dass ein paar schöne alte Hafenschlager an diesem Abend natürlich auch nicht fehlen dürfen.

 
  In den Hafenbars der 50er und 60er Jahre an der Waller "Küste" berauschten sich die Malocher und Hausfrauen gemeinsam mit der Haute Volée Nacht für Nacht am Aufstieg vom Nachkriegselend ins Wirtschaftswunder. Im Golden City und seinen etwa 30 bis 50 Schwesterlokalen kreuzten sich die Wege von Tausenden von Seeleuten aus aller Welt mit denen der Hafenarbeiter, ausgemusterten Soldaten, Barfrauen und Prostituierten. Die Bars entstanden vor der Kulisse und aus dem Material der vom Krieg zerstörten Stadt. Ihre Zentralfiguren waren starke Frauen. Für ein paar Jahre gab es einen Goldrausch für kleine Leute. Und eine anarchische Lust am Überleben und Feiern. Die Bars waren die richtige Adresse für kleine Geschäfte und großen Schmuggel, Arbeitsvermittlung, Stammtisch, Partnersuche und Prostitution.

 

Die temporäre Hafenbar Golden City ... war eine kulturelle Intervention auf der Kante zwischen Oral History, Theater, Musik und Stadtentwicklungsdiskurs


 

 
 
Mit insgesamt etwa 300-400 Veranstaltungen in 10 Jahren hat die temporäre Hafenbar "Golden City" zwischen 2013 und 2022 ordentlich frischen Wind in die Überseestadt (und ans Lankenauer Höft) gebracht.


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Direkt am Wasser, direkt am Mann und an der Frau, günstig und unkonventionell - die Hafenbar war für Tausende Hafenfreunde, Sonnen(untergangs)anbeter, Boot- und Fahrradfahrer einen ganzen Sommer lang ein Anziehungspunkt. Die besondere Atmosphäre und das pikfeine Programm sprach sich herum und sorgten für einen stetig wachsenden Publikumszulauf aus ganz Bremen und umzu.
Investor und Malocher, Stadtentwicklerin und Hausfrau kamen zusammen, genossen Theater und Shows, sangen und diskutierten bei Frikadelle und Bier und prägten einen starken neuen Ort für Bremen.
Die vielen Bilder und Berichte in den Medien haben der Überseestadt ein neue, bisher vermisste Farbe verschafft.

Eine temporäre Bar, die sich mit Kult-verdächtigen Showprogrammen und Geschichte(n) vom alten Hafen und der neuen Überseestadt in den Stadtdialog einmischt, ein aus Altbauteilen errichteter Bau, der sich vor eine Kulisse von Neubauten schiebt; ein von Freiberuflern errichteter, funktionierender Kulturbetrieb. Das ergibt für die Überseestadt eine Geschichte zum Weitererzählen, die so wirklich nur in Bremen möglich ist.
 
Warum?

 

 
 
Seit der Zuschüttung des Überseehafens 1998 entwickelt Bremen auf dem riesigen 300-Hektar-Areal der brachgefallenen innerstädtischen Häfen einen neuen Stadtteil, die Überseestadt. Die letzten alten Speicher und Schuppen sind zu schicken Loftbüros geworden, die sich mit hochpreisigen Wohnneubauten abwechseln. Statt Seeleuten und Hafenarbeitern dominieren jetzt Projektentwickler und Kreativwirtschaftler das Bild.

Die Bürgerinnen und Bürger aus den benachbarten Quartieren der ehemaligen Hafen- und Werftarbeiter empfinden eine Art Phantomschmerz bei dieser Entwicklung. Sie haben nicht nur den Niedergang und die Zuschüttung ihres Hafens erlebt, sie erleben das Verschwinden ihrer Generationsleistung und befürchten den Boom einer leblosen "Reichenoase".

Die Befürchtung scheint berechtigt,Teile der Überseestadt sind tagsüber bevölkert von Architekten, Designern, Anwälten und exklusiven Handelsbranchen, hier leben einzelne Paare, Privatiers und Singles, kaum Kinder. Und ab 17 Uhr und am Wochenende bleiben die endlosen Steinboulevards und unbebauten Flächen menschenleer. Seit die Pionierleistungen der meist privaten Investoren sich zu einem wahren Bauboom entwickelt haben, ist die Überseestadt Gegenstand des öffentlichen Diskurses um erschwingliche Mieten, Maßnahmen zur Belebung und eine Verbindung zu den Menschen der umliegenden Stadtteile.

Mit der Hafenbar "Golden City" gab es am Kopf des Europahafens erstmals einen magischen Ort, der die Stadtöffentlichkeit anzieht. Die temporäre Hafenbar war eine Plattform im eigentlichen und übertragenen Sinn. Hier wurden die neuen und alten Könige der Überseestadt mit den Erwartungen der „kleinen Leute“ konfrontiert. Hier konnten sich die Wege von Investoren, Kreativen, Kulturschaffenden und den verschiedenen Stadtöffentlichkeiten kreuzen. Von hier aus gingen experimentelle, eigensinnige und vor allem belebende Impulse in den neuen Stadtteil Überseestadt aus.